(K)eine immunisierende Wirkung? Eine binnendifferenzierte Analyse zum Zusammenhang zwischen christlicher Religiosität und der Wahl rechtspopulistischer Parteien

Abstract

Der Beitrag greift die in der bisherigen Forschung verbreitete Immunisierungshypothese auf, nach der christliche Religiosität vor der Wahl rechtspopulistischer Parteien schützt, und entwickelt eine alternative Lesart für diesen Zusammenhang. Dazu wird auf Basis der „German Longitudinal Election Study“ (GLES) von 2015 und 2017 und der „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS) von 2018 eine Binnendifferenzierung der christlichen Wählerschaft vorgenommen. Im Mittelpunkt stehen nicht gängige Dimensionen von Religiosität, sondern der Religionsanspruch der Christen. Es wird vermutet, dass christliche Wähler mit exklusivem Religionsanspruch im Vergleich zu denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch häufiger rechtspopulistischen Parteien ihre Stimme geben und dass dafür die ausgeprägteren rechtspopulistischen Positionen von Christen mit exklusivem Religionsanspruch verantwortlich zeichnen. Theoretisch begründet werden diese Annahmen in vier Schritten. Erstens wird eine wahrgenommene Bedrohung unter der christlichen Wählerschaft mit exklusivem Religionsanspruch diagnostiziert. Zweitens werden Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien identifiziert, die eine Antwort auf diese Bedrohungswahrnehmung geben können. Drittens werden Wechselwirkungen zwischen religiösen und politischen Weltanschauungen erläutert, die nahelegen, dass ein exklusiver Religionsanspruch und rechtspopulistische Positionen über die Funktion der Nomisierung verbunden sind. Zuletzt kann die Übersetzung rechtspopulistischer Positionen in die Wahl rechtspopulistischer Parteien plausibilisiert werden. Empirisch lassen sich sowohl Belege für den Zusammenhang von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien als auch die vermittelnde Wirkung rechtspopulistischer Positionen finden. Damit zeigt sich, dass Religiosität bei Vorliegen eines inklusiven Religionsanspruchs immunisierend, aber im Falle eines exklusiven Religionsanspruchs eben auch katalysierend auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien wirken kann. Dies deutet auf eine Verschiebung relevanter Konfliktlinien in der deutschen Wählerschaft hin.

Publication
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
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Jan-Philip Steinmann
Postdoctoral researcher

Head of the research unit “Aetiology of Deviance” at the Criminological Research Institute of Lower Saxony (KFN), Germany